ALS GEMEINDEN IN DER PANDEMIE (ÜBER)LEBEN
Kann man mit der Impfung die Zahl 666 verabreicht bekommen und so ungewollt zum Anbeter „des Tieres” werden?
Das ist vielleicht eine der weitreichendsten Fragen, die ich zu Corona, Impfung etc. mitbekommen habe.

Während einige Christen das Gefühl haben, schon unter dem Antichristen zu leben, sind andere dankbar für einen demokratischen Staat, der sich kümmert. Wieder andere wünschen sich sogar noch mehr Schutzmaßnahmen der Regierung. Man könnte theologisch davon sprechen, dass sich unsere Einschätzung der Lage zwischen Römer 13 (seid untertan der Obrigkeit; alle Obrigkeit ist von Gott eingesetzt) und Offen barung 13 (der Herrscher ist das Tier, das vom Teufel bevoll mächtigt wurde) bewegt. Vielleicht hätten sich auch Paulus und Johannes darüber gestritten, ob der Staat „himmlisch“ oder „teuflisch" ist – oder irgendetwas dazwischen.
Selbstverständlich werde ich dazu keine klare Antwort geben können. Im Gegenteil, ich bin grundsätzlich skeptisch, wenn Menschen sehr einfache und klare Antworten auf komplexe Fragen geben. Die Wirklichkeit ist viel komplizierter, als wir erahnen können.
Wachsende Spannung
Als Werksleitung von Forum Wiedenest haben wir uns gemeinsam mit ChristusForum Deutschland Gedanken gemacht, wie wir Gemeinden helfen können, die in den letzten anderthalb Jahren eine wachsende Spannung zwischen Römer 13 und Offenbarung 13, zwischen Impfbegeisterung und Medien-Frustration, zwischen Sicherheitsbedürftigen und Freiheitsliebenden, zwischen Vertrauen und Misstrauen wahrnahmen.
Was tun, wenn Christen die Gemeinde verlassen, weil ihnen diese zu lasch im Umgang mit Corona gewesen ist oder weil sie das Gesangsverbot in Gottesdiensten für eine Form der Verfolgung halten? Was tun mit denen, die sowieso schon gehen wollten und diesen Schritt während der Pandemie jetzt einfach mal gemacht haben, weil es so leichter war?
Wie sehen unsere Gemeinden aus, wenn unsere Mitglieder aus dem Screen-Age (Bildschirm-Zeitalter) in das reale Leben zurückkehren? Kehren sie wirklich zurück in die Gemeinde? Bleiben sie vor den Bildschirmen? Bleiben sie überhaupt noch bei uns?
Jede Situation in Gemeinden ist einzigartig und es gibt bestimmt kaum pauschale Antworten. Klar ist, dass Gemeinden, die schon vor Corona in der Krise waren, in der Pandemie noch tiefer in die Krise gerutscht sind. Die „gut aufgestellten“ Gemeinden haben die Pandemie meist besser überstanden.

Ungelöste Konflikte spalten in der Krise
Vor allem ungelöste Konflikte haben ein gefährliches Potential, die Gemeinde im Fundament zu spalten. Ungelöste Konflikte sind wie Termiten, die einen Holzbalken von innen aushöhlen, so dass man sie von außen gar nicht wahrnimmt. Erst wenn Druck auf den Balken kommt, zerbricht er. Manche Gemeinde hat nicht wirklich wahrgenommen, dass sie von innen ausgehöhlt wurde durch ungelöste Konflikte – und ist dann in der Pandemie böse aufgewacht.
Gesunde Teams - gesunde Gemeinde
Patrick Lencioni ist ein Unternehmensberater aus den USA, der als gesunde Basis sowohl von Unternehmen wie auch von Organisationen (wie z.B. Gemeinden) immer die einzelnen Teams sieht, die in Organisationen agieren. Die Gemeinde kann nur so gesund sein, wie ihre Teams es sind, angefangen beim Leitungsteam bis zu allen Bereichen, in denen Teams tätig sind.
Der Wunsch nach Wachstum oder zumindest dem Halten der Mitgliederzahlen, der Frust über kleiner werdende Gemeinde und abwandernde Gemeindeglieder, das Kämpfen um attraktive Gottesdienste und lebendige Kleingruppen etc. gehört in dieser Pyramide komplett in die oberste Ebene: Resultatorientierung.

Diese Ebene ist aber nur über den Weg von unten nach oben erreichbar. Es gibt da keine Abkürzung. Wenn Teams in einer Gemeinde nicht lebendig sind, geprägt von Vertrauen, Ehrlichkeit auch in Konflikten, Verbindlichkeit und Verantwortungsbereitschaft, dann nützt es nichts, Resultate einzufordern: Sie können gar nicht entstehen, von kurzfristigen „Wirbel-Effekten“ oder zufälligen Zugewinnen mal abgesehen. Also die Effekte, die z.B. aus dem Wirbel um einen Gemeindebau entstehen oder eine Evangelisation sowie Zugewinne, die durch Umzug von Menschen in unsere Gegend oder Gemeindewechsel von Unzufriedenen entstehen.
„Konfliktfähigkeit ist nicht die Bereitschaft, andere meine Emotionen an den Kopf zu knallen, sondern die Fähigkeit, das zu erkennen und zu benennen, was eigentlich zum Konflikt geführt hat.”
Abgesehen von diesen Effekten ist echtes und gesundes Gemeindewachstum nur über lebendige Teams erreichbar, die natürlich auch ihr Vertrauen auf Gott setzen, beten können und genug Demut haben, um der Sache willen zu arbeiten und nicht um der Anerkennung oder persönlichen Vorteils willen.
Gemeinde ist Gegenkultur
Nach der Lencioni-Pyramide ist die Grundlage für gesunde Teams also Vertrauen und Konfliktfähigkeit – aber was bedeutet das konkret? Vertrauen entsteht, indem wir einander zuhören und verstehen lernen, warum jemand zu einer bestimmten Denkweise oder Wahrnehmung neigt.
Konfliktfähigkeit heißt, jeder darf seine „Bauchschmerzen“ äußern und seine Bedenken kundtun. Ihm oder ihr wird zugehört, es wird niemand beleidigt oder verachtet.

Damit brechen wir aus dem schwierigen Diskurs aus, der in unseren Medien und sozialen Medien Einzug gehalten hat. Begriffe wie „Corona-Leugner“, „Fanatiker“, „Staatshöriger“ etc. fallen unter die Regel Jesu aus Matthäus 5,21-22 (Verachtung des „Bruders“). Gemeinde ist Gegenkultur, und die braucht es heute vor allem in diesem Bereich des Respekts vor anderen Menschen und gegensätzlichen Meinungen. Respekt bedeutet nicht, die Meinung zu bejahen, aber Respekt bedeutet, sorgfältig zuzuhören und zu verstehen, welchen Weg ein Mensch geht, bis er zu dieser Meinung kommt.
Begegnung und Gespräch
Deshalb ist der erste Schritt die Begegnung und das Gespräch. Wir haben das bei Forum Wiedenest auch online versucht, wobei wir es sehr hilfreich empfanden, in den sogenannten „Breakout-Rooms“ in kleineren Gruppen miteinander auszutauschen und einander zuzuhören.
Bei Ärger oder Missverständnissen gilt die Regel des geWIEVten Feedbacks: Ich trenne in meiner Antwort meine Wahrnehmung dessen, was ich dem anderen unterstelle mit dem, was er gesagt hat (Intention), meine Gefühle dabei (Emotion) und meinem Wunsch, wie es anders sein könnte (Verhaltensänderung).
Mir ist es ein Rätsel, wie es angesichts der eindeutigen „Fleisches-Liste“ von Galater 5,20-21 in Bezug auf zwischenmenschliche Emotionen (Feindschaften, Hader, Eifersucht, Zornausbrüche, Selbstsüchteleien, Zwistigkeiten, Parteiungen, Neidereien) die Überzeugung von Christen sein kann, sie dürften ihren negativen Emotionen in der Gemeindeversammlung oder in Gesprächsgruppen mal so richtig Luft machen. Konfliktfähigkeit ist nicht die Bereitschaft, anderen meine Emotionen an den Kopf zu knallen, sondern die Fähigkeit, das zu erkennen und zu benennen, was eigentlich zum Konflikt geführt hat.
Persönliche Abneigung, Verachtung oder unangenehme emotionale Erinnerungen sind kein Thema für Konfliktbereinigung, sondern für Seelsorge und Wachstum in der Nachfolge Jesu. Wer in der Gemeinde nicht in der Lage ist, diese Gefühle von Ärger, Zorn und Angst zu kontrollieren, hat irgendwann vorher die Gelegenheit verpasst, mit der Hilfe von Jesus an seiner Seele arbeiten zu lassen.
Gesprächsprozess in drei Phasen
Ein Gesprächsprozess in der Gemeinde über bestehende Konflikte kann in drei Phasen ablaufen:
1.1 Austausch wagen – zur Analyse unserer Situation als Gemeinde
1.2 Zeugnisse weitergeben von Erlebnissen mit Gott in der Pandemie
2. Versöhnungsräume anbieten – weitere Begegnungen planen, in denen aktiv Versöhnung geschehen kann, wo es Verletzungen gab und Heilung notwendig ist
3. Im disruptiven Wandel führen lernen (für Leitung und Leitungsteams)
Das nebenstehende Arbeitsblatt enthält dazu exemplarische Fragen und Artikelverweise zur Vorbereitung der Teilnehmer. Es kann gern kopiert werden. *** LINK? ***
Egal, wie die äußeren oder politischen Umstände auch sein mögen, wir werden als Gemeinde die Herausforderungen der Zukunft unserer Gesellschaft nicht bewältigen, wenn wir nicht als starke Gemeinschaft in großer Überzeugung von der Kraft des Evangeliums vorwärts gehen. Deshalb möchte ich diesen Artikel schließen mit der Aufforderung des Paulus: „Im übrigen, Brüder, freut euch, lasst euch zurechtbringen, lasst euch ermuntern, seid eines Sinnes, haltet Frieden! Und der Gott der Liebe und des Friedens wird mit euch sein.“
ULRICH NEUENHAUSEN
Leiter des Forums
mit herzlichem Dank an Prof. Christoph Stenschke und Horst Engelmann für ihr Mitdenken und Planen der OT-Artikerl über „Corona und Gemeinde“
wiedenest.de/coronaartikel